30.09.2020

Neue Fugen für neue Fassaden

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UM WAS GEHT ES?

Wir konstruieren neue Fassaden durch die innovative Verbindung von digitalen Medien und herkömmlichen Baustoffen. So wird es möglich, das historische Konkurrenzverhältnis von Leuchtschriften und Baukörpern aufzulösen. Das zeigen im Speziellen gefugte Fassaden. Denn hier entsteht ein visueller Gestaltungsspielraum nicht vor, sondern in der Fassade. Nach dem wegweisenden Lichtfries des Kunstmuseum Basel arbeiten wir an neuen Formen. Hier geben wir Einblick in die laufenden Experimente und die Zuspielsysteme hinter den Fassaden.

DER AUSGANGSPUNKT: KUNSTMUSEUM BASEL

Die städtische Struktur, die das Basler Kunstmuseum umgibt, ist das Produkt vieler Jahrhunderte und so vermittelt sie auch zwischen den Ansprüchen von Fussgängern und jenen von Autofahrerinnen. Gleiches tut auch der Lichtfries. Er ist zwar gross genug, dass sie für Autofahrerinnen und Autofahrer erfassbar ist. Aber sie ist eben integraler Teil des Baukörpers, der durch sein spezifische Form im hergebrachten Sinne eine typologische Lesart der Stadt ermöglicht. Er ist eben nicht eine Leuchtschrift, die unverbunden vor dem Baukörper angebracht ist. Seine stilistische Reduktion entspricht der Ästhetik des gesamten Baukörpers, dessen Hermetik als Geste der Verweigerung gegenüber den bunten Bildwelten der Kulturindustrie gelesen werden kann. Der Lichtfries des Kunstmuseums Basel und seine sich in Entwicklung befindenden direkten Nachfolger sprengen damit die historische Opposition von Modernismus und postmoderner Beliebigkeit. Sie sind Teil einer Architektur, die nach das Erbe der Moderne teilweise weiterträgt, aber unverkrampft erweitert.

Bild und Bau sind nicht zu trennen: Es könnte eine Relief sein – ist aber ein Kunstlichtfries. Foto: © Derek Li Wan Po

HISTORISCHER KONTEXT

Die Frage nach Wirkung und Bedeutung von Medienfassaden kann bis in die architekturtheoretischen Auseinandersetzungen der 1960er- und 1970er-Jahre verfolgt werden. Denn historisch sind sie Teil einer auto-orientierten Architektur, die auf schon aus der Ferne gelesen und dechifriert werden konnte. In dem Sinne sind die Leuchttafeln des Strip von Las Vegas die frühesten Ausprägungen medialer Architektur. Gegen eine solche Stadt, die platt mit Robert Venturi formuliert, aus Schuppen mit grossen angeklebten Schildern bestand, ergriffen modernistische Theoretiker dezidiert Stellung. Im Gegensatz dazu entwickelten Robert Venturi und Denise Scott Brown aufbauend auf Schriften Charles Moores eine Theorie der Stadt, die nicht die Formen der Gebäude und ihre Anordnung zueinander in den Mittelpunkt stellte, sondern andere Orientierungsmöglichkeiten wie Schilder oder Leuchttafeln betonte. Dies ermöglichte ihnen, auch suburbane Räume ohne städtische Dichte und orientierungsfördernde räumliche Struktur positiv zu betrachten. Venturi und Scott Brown legten ihr Augenmerk auf die Wahrnehmung der Stadt aus dem Auto heraus. Dem bewegten Blick des Autofahrers eröffne sich die Stadt nicht primär als strukturiertes Stadtgefüge, sondern als sequenzielles Bild. Orientierung im räumlichen und sozialen Sinne schaffe in der zeitgenössischen Stadt nicht mehr eine spezifische Struktur, sondern ein aus Lichtern und Schriften sich zusammenfügendes Bild.

Entscheidender Kippmoment: Vom Ornament zum Zeichen

Medienfassaden entwickeln ihre Faszination grade dort, wo nicht klar ist, ob sie ein reines Lichtspiel oder aber eine intentionale Botschaft tragen. Es ist der Moment, in dem nicht klar ist: Sehe ich ein reines Ornament oder aber ein signifikantes Zeichen? Sehe ich das triviales Material, nur Schatten und Licht? Oder schon Wort und Bild?

Was sieht man hier: Nur ornamentale Lichtmuster oder schon Buchstaben?

WIE WIR WEITER FORSCHEN

Für neue Projekte – wie beispielsweise das neue Harvard Square Theatre in Boston – entwickeln wir das Prinzip des Lichtfrieses auch auf technischer Ebene weiter. Für die konkrete Ausgestalltung ist vor allem eine Frage wichtig: In welcher Stadtstruktur befinden wir uns? Diese eine zentrale Frage splittert sich auf: Braucht es Konzepte für die Nahsicht oder die Fernsicht? Oder braucht es gar eine Doppellösung für beide? Stehen die Leute still, laufen sie oder bewegen sie sich im Auto am Gebäude vorbei? In welchen Winkeln sehen sie die Fassade? Wie hell muss sie, wie subtil soll sie sein? Und unter welchen Lichtbedingungen soll die Fassade welche Wirkung entfalten?

EINFACH BENUTZBARE ZUSPIELSYSTEME

Das subtile Zusammenspiel von Natur- und Kunstlicht lässt vergessen, dass die Ansteuerung der LEDs und damit die Erscheinung des Gebäudes erstaunlich einfach zu steuern ist. Denn die Fläche des sich um dreiviertel des Museums ziehende Lichtfries kann wie jeder andere Videocontainer bespielt werden: Mit unbeweglichen oder beweglichen Lichtmustern in Pixeln, die von Weiss bis Schwarz alle Helligkeitswerte haben können. So ist auch klar: Die Fassade ist ein relativ einfach bespielbares Medium, für das Künstler und Kuratoren spezifische Konzepte entwickeln können.

INHALTE, DIE WEITERFÜHREN

Oft geht es primär darum, sich in der Ökonomie der Aufmerksamkeit optimal zu positionieren. Aber das muss nicht heissen, dass alle immer lauter schreien. Oder dass Gebäude zu Schaukasten für explizite Werbung werden müssen. Die stärksten Konzepte zeichnen sich zumeist durch partielle Verweigerung aus: Sie können das, was sie machen deshalb so gut, weil sie nicht alles versuchen. So stellen wir uns auch die Frage: Wie provoziert man in der angesprochenen Öffentlichkeit erfolgreich Gemeinsamkeit und Auseinandersetzung? Und wie können wir die technologischen Lösungen zu Modellen der Nachhaltigkeit machen, die ganz konkret sozial und ökologisch funktionieren?

FASSADE ALS TEMPORÄRES KUNSTWERK?

Allzuoft wird eine Medienfassade mit einem Infoscreen verwechselt. Wie lassen sich dagegen Baukörper und visuelle Erscheinung gegenseitig stärken? Zentral erscheint: Lichtbedingungen, Materialität und Struktur der Fassade in die Überlegungen zum Inhalt mit einbeziehen. So wird die Integration von Medium und Bau möglich – und so stellen sich automatisch jene spannenden Momente ein, in denen nicht sicher ist, ob die Erscheinung trivialer Effekt der natürlichen Verhältnisse oder intendiertes Moment der künstlerischen Bespielung ist. Dies wäre der Ausgangspunkt für Künster und Kuratorinnen. Grade bei Museumsbauten könnten sie das Gebäude selbst zum Bildträger machen, der zur Reflektion einlädt.